Anschaulich schreiben: Cyranos Nasen-Monolog zeigt, wie´s geht

Kann uns ein über 120 Jahre alter Text zeigen, wie wir im digitalen Zeitalter lebendig und anschaulich schreiben? Ja! Cyrano von Bergeracs Nasen-Monolog zum Beispiel ist zeitlos gut. Wir zeigen, warum.

Cyrano und Valvert während des berühmten Nasen-Monologs

Die meisten werden, wenn sie Cyrano de Bergerac hören, an Gérard Depardieu denken, wie er in der Verfilmung aus dem Jahr 1990 zu Höchstform auflief. Das Versdrama schrieb der Franzose Edmond Rostand allerdings schon im Jahr 1897. Uns soll hier der berühmte Nasen-Monolog als Beispiel dienen. Er beginnt damit, dass ein gewisser Valvert versucht, den tatsächlich mit einer sehr großen Nase ausgestatteten Cyrano zu beleidigen. Er tut das auf eine sehr direkte Art und Weise:

Valvert: „Ei, Sie haben eine sehr … sehr lange Nase.“

Was nun folgt, ist ein Redeschwall, der stakkatoartig Bilder und unterschiedliche sprachliche Herangehensweisen variiert. Hier der Text als Grundlage. Sie können ihn natürlich überspringen und mit meinen Ausführungen am Ende beginnen. Idealerweise aber lesen Sie ihn sich erst einmal (laut) durch:

Cyrano de Bergerac:
Das war etwas mager.
Fällt ihnen nichts mehr ein? – Mir vielerlei,
Und auch die Tonart lässt sich variieren!
Ausfallend: „Trüg ich diese Nasenmasse,
Ich ließe sie sofort mir amputieren.“
Freundlich: „Trinkt sie nicht mit aus ihrer Tasse?
Aus Humpen schlürfen sollten Sie die Suppe.“
Beschreibend: „Felsgeklüfte, Berg und Tal,
Ein Kap, ein Vorland, eine Inselgruppe.“
Neugierig: „Was ist in dem Futteral?
Ein Schreibzeug oder eine Zuckerzange?“
Anmutig: „Sind Sie Vogelfreund, mein Bester,
Und sorgten väterlich mit dieser Stange
Für einen Halt zum Bau der Schwalbennester?“
Zudringlich: „Wenn Sie Tabak rauchen
Und ihr der Dampf entsteigt zum Firmament,
Schreit dann die Nachbarschaft nicht laut: ,Es brennt‘?“
Warnend: „Sie sollten große Vorsicht brauchen;
Sonst zieht das Schwergewicht Sie noch kopfüber.“
Zartfühlend: „Spannen Sie ein Schutzdach drüber;
Weil sonst im Sonnenschein sie bleichen muss.“
Pedantisch: „Das aristophanische Tier
Hippokampelephantokamelus
Trug ganz unfraglich gleiche Nasenzier.“
Modern: „Wie praktisch diese Haken sind,
Um seinen Hut dran aufzuhängen!“
Begeistert: „Wenn sie niest im scharfen Wind,
Braucht nur ein Teil von ihr sich anzustrengen.“
Tragisch: „Ein Turm von Babel, wenn sie schwillt!“
Bewundernd: „Für Odeur welch Aushängschild!“
Lyrisch: „Ist dies die Muschel des Tritonen?“
Naiv: „Wann wird dies Monument besichtigt?“
Respektvoll: „Wird nicht ein jeder Wunsch beschwichtigt
Durch solch ein Häuschen zum Alleinbewohnen?“
Bäurisch: „Potz Donnerschlag, was sagst du, Stoffel?
Zwergkürbis oder riesige Kartoffel?“
Soldatisch: „Dies Geschütz ist schwer beweglich.“
Geschäftlich: „Haben Sie vielleicht im Sinn,
Sie zu verlosen – erster Hauptgewinn?“
Zuletzt im Stil des Pyramus, recht kläglich:
„Weil sie das Gleichmaß im Gesicht getötet,
Ist sie voll Schuldbewusstsein und errötet.“

Cyrano setzt also der sehr schlichten Behauptung oder Beobachtung, sein Gegenüber habe eine große Nase, ein Feuerwerk von Möglichkeiten entgegen, wie man diese Tatsache kreativer und spannender formulieren hätte können.

Was ist es nun, was den Nasen-Monolog so anschaulich macht?

Zunächst einmal arbeitet er mit Metaphern und Bildern. Hier bringt er als Vergleich Gegenstände ins Spiel, dort wieder Landschaften oder alltägliche Tätigkeiten. Damit verändert er auch in jedem Beispiel die Perspektive der Betrachtung: In einer Variante stellt er in den Raum, was er mit so einer Nase tun würde, dann fragt er, wie es dem Gegenüber damit gehe, oder er stellt die Nase selbst als Subjekt ins Zentrum. Damit können wir auch in Gebrauchstexten des Alltags arbeiten.

Ein wichtiges Stilelement bei Cyrano alias Rostand sind Fragen, etwa: „Trinkt sie nicht mit aus Ihrer Tasse? Was ist in dem Futteral? Wann wird dies Monument besichtigt?“
Fragen sprechen und regen unsere Zielgruppe direkt an. Sie machen aus einem Monolog einen Dialog. Nutzen wir sie!

Cyranos Bilder sind sehr konkret, er vergleicht die Nase nicht mit Gemüse, einem Sammelbegriff, sondern bringt gleich konkrete Beispiele wie „Zwergkürbis oder riesige Kartoffel“, und er argwöhnt nicht nur, dass Dinge in der Nase Platz hätten, sondern er vermutet „Schreibzeug oder eine Zuckerzange“ darin. Konkretes ist immer einprägsamer als Verallgemeinerungen, auch heute noch!

Der Text setzt auf aktive Verben (Zeitwörter), die etwas bewegen und für sich schon Bilder schaffen. Während Valvert in seiner ersten Provokation lediglich auf das Zeitwort „ist“ setzt, greift Cyrano in seinem Nasen-Monolog alleine in den ersten Versen auf Wörter zurück wie „tragen“, „amputieren“, „trinken“ oder „schlürfen“. Das gibt seinem Pamphlet Kraft – und auch jedem heutigen Text, sei es ein Social-Media-Post oder ein Newsletter.

Valverts Beleidigung beruht auf einem einzigen Adjektiv (Eigenschaftswort), nämlich „lang“, Cyranos Beispiele kommen beinahe ohne solche aus. Das Geheimnis liegt in dem kurzen Tipp: Show, don´t tell! Wenn es die Möglichkeit gibt, etwas mit Worten zu zeigen, dann sollten wir es tun – und nicht auf die vielleicht kürzere, aber langweilige Variante zurückgreifen, es einfach nur zu sagen. Zeigen Sie Ihren Leser*innen, was sie meinen, indem Sie Bilder schaffen und Auswirkungen beschreiben; bedienen Sie damit alle Sinne, dann wirken Ihre Texte gleich viel tiefer.

Natürlich ließen sich noch viele zusätzliche Stilmittel ausmachen, etwa die wohlklingende Dreierfiguren „Felsgeklüfte, Berg und Tal“ und „ein Kap, ein Vorland, eine Inselgruppe“, der Ausruf „Potz Donnerschlag“ oder die Reimform. Machen Sie sich mit Stilmitteln vertraut und nützen Sie jene, die Ihnen gefallen: Sie sind der Türöffner für individuelle Texte.

Und schließlich: Es stimmt nicht ganz, dass der Text mit Adjektiven geizt. Rostand lässt Cyrano jedem Beispiel ein Eigenschaftswort voranstellen, das die Richtung vorgibt. Uns zeigt er damit, wie nuanciert wir Sprache einsetzen können, je nach Ziel, Zielgruppe und Textsorte. Soll Ihr Text „respektvoll“ formuliert sein, soll er „freundlich“ klingen oder „warnend“? Für all das warten irgendwo die richtigen Worte. Nur eines sollten sie nie sein: fad.

Sie können sich den Text auch anhören ab Minute 1:35 unter: https://youtu.be/cgHW6fga4k4?t=95

Der oben genannte Nasen-Monolog ist aus:
Edmond Rostand: Cyrano von Bergerac, Stuttgart: Reclam, 1977 (Original: 1897)

Wenn Sie noch mehr solche Tipps und Tricks kennen lernen wollen, dann schauen Sie sich doch unsere Angebote zur schriftlichen Kommunikation an.

 

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