Systemisches Konsensieren (SK) ist eine Bewertungsart, bei der alle Beteiligten wirklich gehört werden – und ein wichtiges Werkzeug im Methodenkoffer von ModeratorInnen.
Was haben die Fußball-WM, der Song-Contest und die Präsidentschaftswahlen gemeinsam? Genau, es gibt am Ende bei allen dreien einen Gewinner oder eine Gewinnerin. Die Wege allerdings, wie der erste Platz jeweils ermittelt wird, könnten unterschiedlicher kaum sein. Tatsächlich kennen wir noch viel mehr Möglichkeiten zu ermitteln, wer gesiegt hat. Sie haben alle ihre Vor- und Nachteile.
Gruppen oder Teams, die zwischen mehreren Möglichkeiten wählen können, tun das meist mittels Mehrheitsentscheidung. Das geht schnell und ist unkompliziert, kann aber bedeuten, dass bis zu 49 Prozent komplett unter die Räder kommen und etwas mittragen müssen, was für sie gar nicht passt. Was werden sie tun? Wenn es wirklich wichtig ist, wenn ihre Widerstände allzu groß sind, werden sie nicht nur die Entscheidung, sondern das ganze System bekämpfen.
Widerstände abfragen
Wie wäre es nun, wenn ein Bewertungssystem stattdessen die Lösung mit den geringsten Widerstände und Konflikte fände? Mit dem Prinzip des Systemischen Konsensierens, das die beiden Grazer Erich Visotschnig und Siegfried Schrotta ab den 1970er-Jahren entwickelt haben, ist genau das möglich.
Die Methode funktioniert nicht nach dem Minderheiten ausschließenden Mehrheitsprinzip und fragt nicht nach den Favoriten, sondern nach Widerständen. Die so gefundenen Lösungen sind somit nachhaltiger und tragfähiger.
Wie funktioniert nun diese Wunder-Methode?
Eine Gruppe sucht eine Lösung für ein Problem oder muss eine Entscheidung für einen Kandidaten aus mehreren Bewerbungen treffen. Der/die Moderierende sammelt verschiedene Vorschläge und listet sie auf, idealerweise mindestens drei. Dazu kommt die sogenannte Passivlösung (PL). Das ist jene Variante, bei der der Status quo erhalten bleibt, es passiert also nichts oder so, wie es immer geschehen ist, z. B. entscheidet eine andere zuständige Instanz.
Erhobene Hände signalisieren Widerstände
Nun werden Idee für Idee oder Kandidatin für Kandidat die Widerstände abgefragt, auch für die Passivlösung. Beim vereinfachten Konsensieren via Handzeichen gibt es drei Möglichkeiten:
- Beide Hände am Schoss (oder über der Brust gekreuzt) bedeutet kein Widerstand,
- eine erhobene Hand etwas Widerstand,
- beide erhobenen Hände großen Widerstand.
Der/die Moderator/in zählt alle Hände zusammen und errechnet den Gesamtwiderstand. Jene Idee oder jene/r Kandidat/in mit dem geringsten Widerstand hat zugleich die höchste Akzeptanz. Wichtig: Sie muss niedriger sein als die Passivlösung, weil ja sonst der Status quo besser wäre.
Kommt es zu Gleichstand oder beinhaltet die Siegeridee auch vereinzelt hohen Widerstand, empfiehlt sich eine Diskussionsrunde, bei der Lösungen gefunden werden, um die Ideen zu verbessern und so den Widerstand zu senken. Danach kann man noch einmal die Widerstände abfragen. Der Vorteil dieser Methode ist nämlich auch, dass Ideenbringer/innen alles versuchen werden, ihre Ideen anzupassen, das führt eher zu einem Interessensausgleich als zu einem Überstimmen.
Neben dieser Kurzvariante arbeiten ausgebildete Moderator/innen auch mit elaborierteren Formen – etwa mit Zählkarten von 1 bis 10 oder einer App.
Ich (Roman Kellner) habe selbst vor einigen Jahren die Ausbildung zum SK-Moderator gemacht und greife seither immer wieder auf diese integrative Methode zurück, sie führt auch bei scheinbar aussichtslosen Gruppenentscheidungen zu akzeptierten Lösungen. Denn, so Siegfried Schrott: „Beim Konsensieren zählt die Qualität des Vorschlags aus der Sicht der ganzen Gruppe. Das SK-Prinzip ist also ein Weg zum größtmöglichen Interessensausgleich und gelebter Solidarität.“
Literaturauswahl:
Paulus, Georg/Schrotta, Siegfried/Visotschnig, Erich: Systemisches Konsensieren. Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg, Holzkirchen 2013.
Visotschnig, Erich: Nicht über unsere Köpfe. Wie ein neues Wahlsystem unsere Demokratie retten könnte, München 2018.
Mehr Informationen:
http://www.sk-prinzip.eu/
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