Vor der Nationalratswahl im September 2024 verwandelt sich der öffentliche Raum in ein Dickicht politischer Slogans und Appelle. Machen wir das Beste daraus und lernen an den plakatierten Beispielen, wie Texte wirken – und warum. Hier eine Analyse einiger Wahlplakate.
ÖVP – Bedürfnisse der Mitte
Die ÖVP kommt auf ihren Plakaten – schon traditionell – mit wenig Text und wenig konkreten Inhalt aus. Hat schon Sebastian Kurz im Jahr 2019 mit „Klarheit schaffen. Kurz wählen!“ geworben, folgt ihm Bundeskanzler Nehammer mit „Stabilität für Österreich.“ oder „Sicherheit für Wien.“ Klarheit, Sicherheit und Stabilität sind Grundbedürfnisse aller Menschen, etwas, zu dem jeder und jede nickt, einfach, weil wir das alle brauchen – auch wenn natürlich völlig unklar bleibt, wie diese Bedürfnisse im konkreten Fall durch die wahlwerbende Partei befriedigt werden.
Darüber hinaus handelt es sich um extrem kurze Aussagen mit nur einem Element. Und egal, welchen Kulturkreis man sich in Hinblick auf Zahlensymbolik ansieht: Immer steht die eins, das eine Element für eine Einheit, die keine weitere Interpretation zulässt und Kraft vermittelt. Passend dazu geben sich die abgebildeten Personen seriös gekleidet und staatstragend. Mit „Wir. Die starke Mitte.“ oder mit „Die Mitte stärken.“ möchte sich die ÖVP von der SPÖ, besonders aber von der FPÖ abgrenzen, die oft als am rechten Rand bezeichnet wird – auch wenn die Analysen den Wahlprogrammen dieser beiden Parteien eine sehr große Überschneidung attestieren.
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SPÖ – mit Herz und Hirn
Während die ÖVP auf Ein-Element-Botschaften setzt, bietet die SPÖ zwei Elemente an: „Mit Herz + Hirn“ ist Teil fast aller ihrer Plakate. Zwei Elemente stehen üblicherweise für Vergleich und Kontrast, den Wähler*innen soll vermittelt werden: „Wir sind menschlich, aber auch kompetent.“
Interessant, dass das Herz, aus unserer Sicht etwas unglücklich, als Piktogramm dargestellt ist. Auch die SPÖ ist inhaltlich recht farblos, konkrete Umsetzungsstrategien oder Themen aus dem Wahlprogramm fehlen. Sie versucht hingegen auf einigen Wahlplakaten, mit der direkten Anrede und Slogans wie „Für dein besseres Österreich“ oder „Mit Herz und Hirn für deine Kinder“ Nähe und persönliche Betroffenheit herzustellen.
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FPÖ – plakativ suggestiv
Die FPÖ, in den Umfragen auf Platz eins, verzichtet heuer auf den ganz großen Tabubruch. Komplett ohne geht es freilich auch nicht. Mit „EUER WILLE GESCHEHE“ klaut man aus dem Vater unser, dreht allerdings Ursache-Wirkung um. Mit demselben Stilmittel der Umkehrung arbeitet der Spruch „IHR SEID DER CHEF – ICH EUER WERKZEUG“. Offen bleibt, ob es nicht vielleicht genau umgekehrt gedacht sein könnte.
Die religiöse Anspielung kann zwei Ziele haben: einerseits die Zustimmung aus der katholischen Wählerschicht durch das Betonen christlicher Werte – in Abgrenzung zum Islam. Andererseits sorgt die Provokation zumindest für Proteste aus der katholischen Kirche. So bleibt man im Gespräch.
Neu ist der pathetische Bezug auf religiöse Formulierungen nicht. Norbert Hofer setzte zum Beispiel bei der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2016 auf „SO WAHR MIR GOTT HELFE“. Spannend ist, dass die FPÖ bei diesen Plakaten wie schon in der Vergangenheit wieder als einzige Partei die Personalpronomen im Plural verwendet, also kaum „du“ und „dein“, sondern hauptsächlich „ihr“ und „euer“. Das kennen wir zum Beispiel von Haiders „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“ Es wird als gar nicht so sehr der oder die einzelne angesprochen, sondern gleich eine ganze scheinbar homogene Gruppe. Diese Gruppenansprache ergänzt sehr gut jene Plakatserie, die dann doch einzelne direkt adressiert, etwa: „KICKL. DEIN HERZ SAGT JA.“ Das wiederum passt zu den religiösen Bezügen: suggestiv, emotional aufgeladen und, ja, auch affirmativ. Geschickt und gefährlich.
Zusätzlich gibt es einen Appell, der offenbar potentielle Wähler*innen ermutigen soll, erstmals der FPÖ die Stimme zu geben: „ES BEGINNT MIT DIR/MUTIG NEUES WAGEN“.
Die grafische Gestaltung gibt sich mit sehr viel Weißraum seriös und nahezu unantastbar. Dazu die rot-weiß-rote Hand mit erhobenen Daumen. Auch das gab es 1985 schon.
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Grüne – Wähl dies statt das
Die Grünen versuchen den Spagat, Klima- und Umweltschutz als zentrales Thema zu plakatieren und dennoch positiv zu bleiben. Alles dreht sich um den Spruch „WÄHL, ALS GÄB‘S EIN MORGEN.“ Nicht schlecht – wenn er verstanden wird.
Dazu transportieren ihre Wahlplakate Zwei-Element-Botschaften, die als Kontraste aufgebaut sind: „BÄUME ODER BETON?“, „KLIMA ODER KRISE?“ Das könnte man fast als ein wenig platt ansehen und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Klima zum Problem zu erklären, wo doch Klimaschutz gemeint ist. Das kennen wir schon aus der Vergangenheit, wo immer wieder Atom und Gen die offenbar unzumutbar langen Wörter Atomkraft und Gentechnologie ersetzten.
Thematische Einzelangebote stehen zusätzlich zur Verfügung: „WÄHL KLIMASCHUTZ“, „WÄHL VERANTWORTUNG“, „WÄHL NATURSCHUTZ“, „WÄHL MITEINANDER“ – eine sprachlich direktere Art, Themen zu besetzen, kann es kaum geben. Die Themen sollen hier die ausschlaggebende Motivation sein, das Kreuzchen bei Grün zu setzen. Zusätzlich sind diese Botschaften mit teilweise drastischen Bildern unterlegt. Vergleicht man die Plakatbilder mit den Verkleinerungen auf der Webseite, zeigt sich, dass nicht alle in der Vergrößerung eine positive Verstärkung bewirken, weil die übergroßen Gesichter, etwa bei „WÄHL MITEINANDER“, fast verzerrt scheinen.
Was uns außerdem auffiel: Bei „WÄHL VERNUNFT&ZUVERSICHT“ fehlen die Abstände vor und nach dem &-Zeichen. Für uns als Textprofis ist es immer ärgerlich, wenn sich Grafiker*innen durchsetzen und Rechtschreibregeln außer Kraft setzen.
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NEOS – Hauptsache Kraft
Bei den NEOS dreht sich alles um Kraft – mal tritt sie in Verbindung mit Frontfrau Beate Meinl-Reisinger als „DIE ENTSCHEIDENDE KRAFT“, mal als „DIE VERBINDENDE KRAFT“ auf. Oder die Neos bezeichnen sich selbst als „REFORMKRAFT“, danach folgen schöne Alliterationen wie „FÜR ECHTE ENTLASTUNG“ oder „FÜR BESSERE BILDUNG“ und mehr oder eher weniger konkrete Forderungen wie „STEUERN SENKEN“ oder „FLÜGEL HEBEN“ – auch dies ein schöne Kontrastmetapher.
Haben wir bei den Grünen schon grammatikalische Fehler im Namen der Optik beanstandet, gilt das für die NEOS erst recht: Das abgeteilte Wort REFORM KRAFT ohne Satzzeichen ließe sich ja noch irgendwie argumentieren, aber TRANS PARENZ in zwei verschiedenen Zeilen geht einfach gar nicht. Ein fehlender Bindestrich ist und bleibt ein Fehler. Immerhin: Beim Plakat „POSTENSCHACHER stoppen“ hat das Werbeteam einen kurzen Strich nach Posten zugestanden.
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KPÖ – eine Stimme für …
Die Kommunisten versuchen, den Wähler*innen-Stimmen einen ganz konkreten Sinn zu geben. Auf Einleitungen wie „EINE STIMME AUS DER PFLEGE“ oder „EINE STIMME FÜR LEISTBARES WOHNEN“ folgt der Standardsatz „Eine Stimme für die KPÖ“. Einerseits greifen sie damit auf das klassische, starke Stilmittel der Anapher zurück. Andererseits bilden sie so auch Zweierfiguren, die eine gedankliche Verknüpfung anstreben; ganz ähnlich finden wir das bei wirkungsvollen Werbeslogans, etwa „Have a break, have a KitKat.“
Optisch gestalten sich die Wahlplakate wild und bunt. Eine Textanalyse endet allerdings spätestens bei den Farben – so auch diese.
Was sind eure Eindrücke? Wir freuen uns über Ergänzungen und Kommentare.
Ergänzung/DISCLAIMER:
Wir vertreten hier keine Position einer bestimmten Partei und betreiben keine Wahlwerbung. Eine Plakatwerbung kann hochprofessionell und wirksam, die Ideologie der Wahlwerbenden dahinter dennoch verwerflich sein. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass niemand aufgrund einer Plakatwerbung sein oder ihr Kreuzerl macht!