Warum schreibt man Stegreif nicht mit H?
Wie leicht wären Dinge zu verstehen, wenn die einfachste Erklärung auch immer die richtige wäre. Das betrifft übrigens nicht nur sprachliche oder grammatikalische Fragen. Um einer Sache wirklich auf den Grund zu gehen, hilft es oft, sich damit zu befassen, wo ein Gedanke, ein Brauch oder eben auch ein Wort seinen Ursprung hat.
Also, warum schreibt man Stegreif nicht mit H? Wäre doch logisch: Wenn ich etwas im Stegreif mache, dann improvisiere ich und erledige es spontan und ohne große Vorbereitung, gerade so, als würde ich ohne Bewegung, also im Stehen, etwas greifen.
Wo kommt ein Wort her?
So einfach, so falsch. Geht man nämlich dem Ursprung des Wortes im Althochdeutschen nach, stößt man auf stigan für steigen und auf reif für ein dünnes Seil bzw. eine Seilschlinge, die man zum Aufsteigen benutzte – ein anderes Wort für Steigbügel. Man schreibt Stegreif also nicht mit H, weil das Wort nicht von Stehen kommt, wie es sich anbieten würde, sondern von Steigen – die Verwandtschaft ist heute noch im Wort Steg erkennbar.
Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Alp- oder auch Albtraum, der sich von den geisterhaften Alben herleitet, die die Schlafenden drücken, oder dem Blutegel, der vielleicht Ekel erregt, aber nicht mit diesem verwandt ist, sondern vielmehr mit der griechischen Bezeichnung für eine kleine Schlange. Nicht alles, was naheliegt, ist somit die richtige Erklärung. Nur selten lässt sich diese ganz spontan finden – aus dem Stegreif, sprachgeschichtlich gesehen also vom Pferd aus, noch im Steigbügel, ganz ohne abzusteigen.
Als alter Pferdenärrin gefällt mir dieses Bild natürlich viel besser als die nächstbeste Erklärung. Und als Schreibtrainerin auch – schlicht weil es das korrekte Bild ist. Eines, das den Ursprung berücksichtigt. Dass solcherart Forschen nach der Quelle oder den Beweggründen meist zu tieferem Verständnis führt, trifft übrigens nicht nur auf sprachliche Fragen zu.
Mehr, viel mehr solche Tipps erwarten Sie in unseren Angeboten zum Thema Texten.