In einem unserer letzten Newsletter griffen wir das Thema Perfektionismus mit diesem Cartoon auf. Die Unterüberschrift lautete: Perfektionismus kann zu gefährlichem Schlafmangel führen. Ein Freund wies uns dann in einer Antwortmail darauf hin, dass die Menschen, mit denen er zu tun habe, immer unverlässlicher würden, und dass ihre Arbeit immer weniger perfekt sei. Jeder denke mittlerweile, es sei ohnedies kein Problem, Fehler zu machen. Schuld an dieser Entwicklung hätten Coaches wie wir, die solche Botschaften verbreiteten.
Jedoch: Perfektion ist nicht Perfektionismus. Wir sagen nicht, dass Fehler egal sind. Nein. Fehler sind Fehler, man sieht sie, sie stören oft. Die Frage ist nur, wie ich mit ihnen umgehe! Sage ich: Es ist egal, wird schon passen, meine Arbeit wird auch mit Fehlern reichen? Dann gebe ich unserem geschätzten Leser Recht: Das führt nicht zu Qualität. Knüpfe ich an einen Fehler allerdings den Mut, aktiv zu werden und etwas zu verändern oder dran zu feilen, habe ich dazugelernt und kann daran wachsen.
Die zwei Seiten des Perfektionismus
In der Psychologie kennt man folgende Definitionen: einerseits das Streben nach Vollkommenheit, unter das hohe persönliche Standards und Organisiertheit fallen, andererseits die übertriebene Fehlervermeidung, die sich sogar krankhaft, etwa in Angstzuständen, äußern kann. Ignotius‘ Perfektionsmus fällt in die zweite Kategorie. Sein Perfektionismus ist gesundheitsschädlich und lässt ihn frieren. Mit etwas Pech wird er im Frühjahr nicht ausreichend Kraft haben, vielleicht sogar nicht über den Winter kommen. Warum? Er hat ein Bild davon, wie sein Ergebnis aussehen muss, das seinen eigenen, wahren Bedürfnissen nicht gerecht wird. Ignotius darf erst schlafen, wenn ALLE Blätter zu einer Schlafstätte verarbeitet sind, nicht etwa dann, wenn der Blätterberg gemütlich, groß und warm genug für seinen Winterschlaf ist. Der Igel hat ein vorgefertigtes, vielleicht von außen übernommenes Bild vom perfekten Blätterhaufen, nicht eines, das seinem ganz persönlichen, eigentlichen Bedürfnis entspricht. Sein Perfektionismus hat zu einem falschen Zielbild und somit nicht zu einem sinnvollen Arbeitsergebnis geführt – und das ist der Perfektionismus, vor dem es zu warnen gilt, dem man begegnen muss.
Diskurs der Machbarkeit
Unsere Gesellschaft wird bestimmt von einem Diskurs der Machbarkeit. Der perfekte Körper, die perfekte Beziehung, die perfekten Eltern, die perfekte Arbeit, die perfekte Geburt, die perfekte Gesundheit. Wir streben Perfektion an, überall. Und uns wird suggeriert, sie sei machbar. Mit Disziplin, Operationen, Kursen, die einem das Blaue vom Himmel versprechen, Wunderkügelchen, ausreichend Glauben an sich selbst – alles scheint schaffbar, machbar, wenn man nur wirklich will.
Ich habe nichts dagegen einzuwenden, ab und an mal etwas richtig perfekt hinkriegen zu wollen. Im Gegenteil. Es spornt einen an. Aber wirklich jeden Bereich perfektionieren zu wollen bedeutet, keine Luft mehr zu haben.
Perfekt heißt vollendet. Hier gibt es keinen Raum mehr. Keinen Freiraum. Zweckfreiheit. All das brauche ich aber. Und zwar um herauszufinden, wo ich hinwill, um mir ein Bild von meinem Ziel zu machen, um mein eigenes Bild der Zielerfüllung zu schaffen, nicht ein vorgefertigtes.
Erfüllbare und bedürfnisgerechte Ziele
Hilfreich ist daher nicht, auf selbstzerstörerische Art einem fixen Bild von etwas Perfektem nachzulaufen, sondern sich eigene Ziele so zu stecken, dass sie erfüllbar sind. Vielleicht ist die Anforderung ein bisschen kleiner – aber sie ist auch leichter zu erfüllen. Erweitern kann ich sie immer noch. Im Idealfall ist ein gutes Ziel eines, das ich mit meinen Bedürfnissen in Einklang bringen und mit meinen Fähigkeiten auch erreichen kann. Dann kann ich es vollenden – nicht in Perfektionismus, sondern in Perfektion.
Gute Nacht, Ignotius! Der Laubhaufen ist schon groß genug für einen erholsamen Winterschlaf! Hoffentlich hast du es noch rechtzeitig vor Kälteeinbruch geschafft!
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