Österreich hat seit 140 Tagen keine neue Regierung, weil bereits zwei Runden von Koalitionsverhandlungen gescheitert sind. Erst konnten sich die Parteispitzen von ÖVP, SPÖ und NEOS nicht einigen, dann gingen jene von ÖVP und FPÖ ohne Ergebnis auseinander. Eine externe Moderation hätte vermutlich geholfen.
von Roman Kellner und Elisabeth Gräf
Vorweg: Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass es bei Politik und damit bei Koalitionsverhandlungen um Macht geht, Partikularinteressen und Pfründe sind im Spiel, auch Interessen und Intrigen. Da wird um Maßnahmen und Zugeständnisse gerungen und um Prozente und Posten gefeilscht.
Es geht um etwas. Aber am Ende soll eine Lösung, idealerweise in Form einer Einigung, herausschauen. Und das läuft in der Regel schneller und angenehmer für alle Involvierten ab, wenn eine hochprofessionelle Moderation den Prozess begleitet. Damit sitzt mit den Streitparteien jemand am Tisch, der neutral und mit Äquidistanz zu allen Beteiligten das große Ziel vor Augen hat – jenseits der Partikularinteressen. Das ist der Job einer externen Moderation. Niemand ist als Mensch neutral, doch in der Funktion des Moderators ist das sehr wohl möglich. Er oder sie achtet darauf, dass alle zum Zug kommen, dass alle gehört werden und das große Ganze nicht aus dem Blickfeld gerät.
Koalitionsverhandlungen mögen besonders folgenreich sein, und doch sind es im Grunde Gespräche zwischen Menschen wie anderswo auch. Diese haben bestimmte Vorstellungen und Ziele, Gefühle und Bedürfnisse, Werte und Verpflichtungen – kurz: unterschiedliche Wirklichkeiten. Eine Moderation hilft dabei, diese Wirklichkeiten in Verbindung zu bringen.
Die Aufgaben einer Moderation
Viele denken bei Moderation an Nachrichtensprecherinnen oder Abendshows, doch hier geht es um etwas anderes: „Moderation ist „eine strukturgebende Einflussnahme einer inhaltlich neutralen, außenstehenden Person auf den Kommunikationsprozess einer Gruppe“, so definiert es Redlich 1997.
Die Moderation strukturiert die Kommunikation und nimmt der Gruppe, in diesem Fall den Verhandler:innen, einige Aufgaben ab:
- Sie begleitet sie schon zu Beginn bei der Suche nach einer gemeinsamen Zielvorstellung. Sie achtet darauf, dass diese für alle passt, verbündet sich damit und behält dieses gemeinsame große Ziel den gesamten Prozess über im Auge.
- Sie achtet auf Äquidistanz, ist also allparteilich und bevorzugt niemanden. Wenn man das einer Einzelperson nicht zutraut, bewährt sich vielleicht eine Moderation im Duo, und die muss nicht aus dem betroffenen Land kommen.
- Die Moderation strukturiert den Prozess und zieht, wenn nötig, Methodenpfeile aus ihrem Köcher, die destruktive Verhandlungsmuster auch einmal durchbrechen.
- Sie behält die Zeit und auch die Energie der Gruppe im Auge, sie erkennt, wann eine Pause notwendig ist.
- Sie sorgt für die Sicherheit der Teilnehmenden, indem sie zum Beispiel auf den Ton achtet oder darauf, dass alle ausreichend Raum bekommen.
Wir ahnen, was Sie sich nun denken: „In welcher Traumwelt lebt ihr? Das ist doch knallharte Politik, da gewinnt der Stärkere. Bei Verhandlungen geht es ums Gewinnen, hier braucht es kein Achten auf Befindlichkeiten.“ Allein: Die Politiker:innen sollen dann ja vier oder fünf Jahre zusammenarbeiten. Klar, das müssen sie dann auch ohne Moderation schaffen. Aber wäre es nicht sinnvoll, die Augenhöhe schon in den Koalitionsverhandlungen gut zu verankern, bevor Porzellan zerschlagen wird?
Die Vertrauensfrage
Eine früher hochrangige Politikerin meinte im Gespräch mit uns, eine Moderation sei aus einem weiteren Grund undenkbar: Niemand würde einer externen Person vertrauen, aus Angst, es könnte etwas nach außen dringen. Aber ließe sich dem nicht begegnen? Es gibt sensible Branchen, bei denen Verträge, zum Teil mit hohen Pönalen im Falle einer Verschwiegenheitsverletzung, gang und gäbe sind. Auch wir haben schon solche Erklärungen unterzeichnet.
Ein weiterer Punkt für die Moderation: Es handelt sich bei den Verhandelnden um gewählte Volksvertreter:innen, die mit einem Resultat aus den Gesprächen kommen möchten, ja sogar müssen! Wer darauf achtet, dass alle ein Ergebnis heimbringen, kann einerseits früh aufzeigen, falls Differenzen unüberbrückbar und weitere Gespräche nicht aussichtsreich sind – dann wird Zeit gespart. Andererseits wird ein Kompromiss wahrscheinlicher.
Der Weg zum Kompromiss
Denn am Ende wird bei Koalitionsverhandlungen ein Kompromiss stehen. Laut Bundespräsident van der Bellen ist dieser aber „in Verruf geraten“. Am 12. Februar 2025, am Tag nach dem Scheitern der zweiten Verhandlungsrunde, meinte er (auf Youtube nachzusehen):
„Irgendwann hat sich die Meinung eingeschlichen, dass einen Kompromiss zu schließen etwas für Verlierer ist. Dabei ist es nur ein anderes Wort für eine gemeinsame Lösung und wenn jeder auf seinem Standpunkt beharrt, dann gibt es eben keine Lösung. […] Es geht nicht darum, immer einer Meinung zu sein, ganz im Gegenteil. Aber um zu einem Kompromiss zu kommen, muss man akzeptieren, dass die andere Meinung genauso zählt wie die eigene. […] Aus dem eigenen Standpunkt A und dem Standpunkt B des anderen kann dann sehr oft ein neuer, besserer Standpunkt C resultieren.“
Der Weg dahin ist steinig. Eine Moderation hilft, Steine aus dem Weg zu räumen.
In diesem Blog geht es ja nur selten um Politik, aber, wenn Sie dieser Beitrag interssiert hat dann ist vielleicht auch unsere Analyse der Wahlplakate vor der vergangenen Nationalratswahl etwas für Sie.